08 Aug Low-Code macht agile Digitalisierung erst möglich
In der heutigen Zeit stehen IT-Abteilungen oder ganze Unternehmen immer stärker unter Druck: Um entsprechend wettbewerbsfähig zu bleiben, sollte sich kein Unternehmen vor der Digitalisierung verstecken. Mehr und mehr Geschäftsprozesse müssen digitalisiert werden, immer mehr innovative Unternehmensanwendungen sollen die Arbeit jedes Einzelnen erleichtern und gewinnbringender gestalten. Mit Hilfe von sogenannten Low-Code-Plattformen können erste Schritte auch von Laien ohne tiefergehende Programmierkenntnisse gegangen werden, um die Digitalisierung voranzutreiben. Wir haben darüber mit Patrick Theobald von Peakboard und mit Florian Rühl von Simplifier gesprochen.
VDMA: Was ist ein Citizen Developer und was unterscheidet ihn von einem „klassischen“ Softwareentwickler?
Patrick Theobald: Citizen Developer sind End-User, die den Willen und die Fähigkeit mitbringen, Unternehmensprozesse IT-seitig zu gestalten, ohne dabei selbst IT-ler zu sein.
Florian Rühl: Im Allgemeinen kann man sagen, dass ein Citizen Developer kein professioneller Programmierer, sondern jemand mit gutem technischen, aber auch mit logischem Prozessverständnis ist. Im Regelfall kennen die Citizen Developer die Anforderungen ihres Business – den Fachbereichen – sehr genau und sind im Stande diese mit entsprechenden Tools umzusetzen.
Patrick Theobald: Das ist zunächst kein neues Phänomen; so besteht eine ähnliche Motivation bei Power-Usern in Excel. Neu ist, dass diese Citizen Developer, zumindest teilweise, direkt auch die Arbeit von klassischen Softwareentwicklern übernehmen.
Florian Rühl: Im Gegensatz zum klassischen Softwareentwickler benutzen sie dafür aber keine integrierte Entwicklungsumgebung. Jedoch wird dem Citizen Developer mit No- und Low-Code Plattformen eine Möglichkeit geboten, auch ohne programmieren zu müssen, die Anforderungen ihrer Fachbereiche in digitalen integrierten Lösungen umzusetzen.
VDMA: Welche Grenzen hat diese Art (Low-Code) von Softwareentwicklung?
Patrick Theobald: Softwareentwicklung ist eine komplizierte Angelegenheit und Low-Code-Tools können diese Komplexität zwar erheblich reduzieren, aber nicht in Gänze eliminieren. Wenn es darum geht, Architekturentscheidungen zu treffen oder Prozesse zu gestalten, die extrem fehlerintolerant sind oder gar Regulierung erfordern, sind die Grenzen oft erreicht. Das kann bereits für klassische Entwickler eine Herausforderung darstellen.
Florian Rühl: Zudem muss man Low-Code-Plattformen von sogenannten Multi-Experience-Development-Plattformen – kurz MXDP-Plattformen – abgrenzen. Low-Code-Plattformen haben oftmals unter der Haube ein Basis-System wie zum Beispiel ein CRM-System, um damit die angrenzenden Anforderungen mittels Low-Code umzusetzen. Mit MXDP-Plattformen können dagegen nahezu alle Anforderungen mittels No-Code-, Low-Code- und sogar Pro-Code-Features umgesetzt werden. So können Applikationen sowohl direkt von Business Anwendern und Citizen Developern erstellt werden als auch sehr komplexe Anforderungen durch professionelle Entwickler.
VDMA: In welchen Bereichen ist die Low-Code-Technologie der klassischen Softwareentwicklung vielleicht sogar überlegen? Und inwieweit ist Low-Code ein sinnvoller Ansatz, um Prozesse über unterschiedliche Tools und Softwares hinweg zu digitalisieren?
Florian Rühl: Der Low-Code-Ansatz disruptiert die klassische Softwareentwicklung, indem es die Applikationsentwicklung einfacher und damit neuen Zielgruppen wie Citizen Developern zugänglich macht. Aber Low-Code-Plattformen gehen weit über visuelle Entwicklungsumgebungen heraus. Zusätzlich zur Entwicklungsumgebung sind einige Plattformen außerdem Integrationstool (Middleware) sowie Laufzeitumgebung. Im Idealfall lassen sich dadurch gleich mehrere Systeme mit Hilfe einer Low-Code-Plattform einsparen.
Patrick Theobald: Monolithische IT-Infrastrukturen sind ein Ding der Vergangenheit. Es gilt der Grundsatz: Das beste Tool für den jeweiligen Einsatz. Das wiederum erfordert Schnittstellen, die potenziell kompliziert und schwer zu implementieren sind. Low-Code reduziert diese Nebenwirkung massiv und macht dadurch agile Digitalisierung erst möglich.
VDMA: Kann grundsätzlich jedes Unternehmen auf Low-Code umschwenken oder gibt es Rahmenbedingungen, unter denen Low-Code nicht das passende Mittel ist? Wie wird bei Software, die durch Laien entwickelt wurde, trotzdem die Qualität sichergestellt?
Patrick Theobald: Ob Low-Code im Unternehmen geeignet ist und den gewünschten Effekt wirklich erzeugt, hängt wesentlich von der Unternehmenskultur und den Umständen ab. Es muss ein Bewusstsein für die negativen Effekte, aber auch für die Chancen vorhanden sein. Wenn sich Mitarbeitende zu sehr überschätzen und vielleicht etwas zu pragmatisch an Aufgaben herangehen, kann das negative Effekte haben. Prozesse werden dann ohne Weitblick gestaltet, was am Ende zu Frust bei allen Beteiligten führt. Ein typisches No-Go wäre der Einsatz von Low-Code-Produkten in Umgebungen, die zum Beispiel stark reguliert sind oder aus anderen Gründen wenig, bis keiner Veränderung unterliegen. Hier lässt sich das Potenzial von Low-Code nicht optimal heben.
Florian Rühl: Unterm Strich sind Low-Code-Applikationen sogar qualitativ hochwertiger, da der Quellcode maschinell generiert wird und somit frei von menschlichen Fehlern ist. Zudem hilft die visuelle Konfiguration der Apps dabei, dass Dritte die erstellten Anwendungen leichter verstehen und reviewen können. Das ist im Support-Fall sehr vorteilhaft und natürlich auch dann, wenn Personen das Unternehmen verlassen oder der Low-Code-Anbieter gewechselt werden soll.
VDMA: Welches Know-How muss ein Anwenderunternehmen im Bereich Low-Code aufbauen, um es nutzbringend einsetzen zu können? Müssen bestimmte Voraussetzungen vorhanden sein oder geschaffen werden, um Low-Code effektiv einsetzen zu können?
Florian Rühl: Tatsächlich haben alle Unternehmen einen unterschiedlichen Reifegrad. Zunächst muss entschieden werden, ob eine Citizen-Developer-Strategie richtig und umsetzbar ist. Es ist aber auch denkbar, Anwendungen weiterhin aus der IT heraus zu erstellen. Eine weitere Möglichkeit ist, die App-Erstellung an Partnerfirmen auszulagern. Alle drei Varianten sind legitim und lassen sich sinnvoll mit einer Low-Code-Strategie kombinieren. Je nach Variante ist ein umfangreiches Onboarding-Konzept des Anbieters notwendig. Ein agiles Mindset und ein solides Change-Management hilft dabei, damit IT und Fachbereich bei der App-Erstellung zusammenarbeiten können. Bei der Umsetzung durch einen Partner sind die Hürden geringer und trotzdem sind die Applikationen mit den gesamten Low-Code-Vorteilen auf einer standardisierten Plattform umgesetzt worden.
VDMA: Welche Vorteile haben Low-Code Funktionen für die Umsetzung von Geschäftsprozessen? Könnten Sie die Vorteile anhand eines Beispiels illustrieren?
Patrick Theobald: Eines der größten Probleme in der Unternehmens-IT ist, dass sich IT-ler / Programmierer und Fachanwender sehr schwertun, die Sprache des anderen zu verstehen. Low-Code ist ein Ansatz, dieses Problem zu lösen, und damit eine riesige Chance. Hier ein Beispiel von einem unserer Kunden: Ein Logistikleiter möchte die Fehleranfälligkeit seiner Prozesse verbessern, indem er seine Mitarbeitenden mit bestimmten Kennzahlen in Echtzeit versorgt und sie dabei bewusst mit einbindet. Allerdings brauchen Logistikkennzahlen oft einige Iterationen, bis sie einen entsprechenden Reifegrad bekommen. Durch Low-Code können diese Iterationen ohne Hilfe der IT-Abteilung vorgenommen werden: ein Paradebeispiel dafür, wie Fachwissen und Technik ohne Umwege miteinander vereint werden und die ganze Energie in die Umsetzung gesteckt werden kann.
VDMA: Vielen Dank an Sie beide für das Interview.