Trends, von denen auch kleine Handwerksbetriebe profitieren können

Das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Stuttgart bietet kleinen und mittleren Handwerksbetrieben Unterstützung bei der Digitalisierung an. Auf seiner ersten Multiplikatorenkonferenz stellte das Zentrum Anfang Februar gut 30 Teilnehmern die wichtigsten Trends vor.

Die meisten Handwerksbetriebe sind zwar grundsätzlich offen, in die Digitalisierung ihrer Prozesse zu investieren und sich der vielfach zitierten Herausforderung der “stärkeren Vernetzung” tagtäglich zu stellen. Oft fehlt jedoch ein konkreter Ansatzpunkt. Vor allem digitale Plattformen können hier einen direkten Mehrwert für den Betrieb bieten, wenn sich verschiedene Gewerke, Zulieferer und andere Dienstleister miteinander vernetzen. Ob online oder off line – dass Vernetzen zum Erfolg führen kann, wissen auch Schreinerin Hanna Schaaf und Maler Patrick Giese. Die beiden Geschäftsführer schilderten, wie sie sich eher zufällig auf einer Schulung des Kompetenzzentrums trafen und doch dieser “Zufall” eben kein “Zufall” sein sollte. Nach erfolgreichem Abschluss eines ersten Projekts startet nun bereits ein Folgeprojekt mit weiteren Partnern.

Über den Einsatz digitaler Lösungen im Unternehmen zumindest nachzudenken, ist mittlerweile Pflicht – davon berichtete Jens Leyh, Digitalbau-Experte im Kompetenzzentrum. Er verdeutlichte, dass gerade digitale Pläne ein Erfolgsmodell für die Zukunft sind. Digitale Raumplanung mit Building Information Modeling (BIM) konnten die Teilnehmer in den Laboren selbst erleben. Diese Labore für virtuelle und erweiterte Realität helfen, Planungen von Gebäuden schon lange vor dem eigentlichen Bauen anschaulich zu vermitteln.

Digitalisierung in der Praxis: Schreiner Holitsch stellt sich für die Zukunft auf

(Autor: BWHM GmbH)

Viele Handwerksunternehmer, die gerade mit der Digitalisierung ihres Betriebs beginnen, stellen sich die gleiche Frage: „Was heißt Digitalisierung und wo setze ich am besten an? Um der Antwort einen Schritt näher zu kommen, lohnt sich der Blick ins oberschwäbische Tettnang zur Schreinerei Holitsch, die sich beim DigiCheck des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Stuttgart als sogenannter Best Practice-Betrieb herauskristallisierte. „Ein Best Practice-Betrieb, bei uns Use Case-Betrieb genannt, ist in allen Unternehmensbereichen so optimal aufgestellt, dass kaum Handlungsbedarf besteht. Er dient somit als ideales Praxisbeispiel für andere Betriebe“, erklärt Florian Jentsch, Abteilungsleiter für Technologie, Digitalisierung und Innovation beim Baden-Württembergischen Handwerkstag.

Das Ziel ist klar gesteckt

Konfrontiert man Betriebsinhaber Alois Holitsch mit dem Ergebnis des Checks, reagiert der eher nüchtern „Wir sind doch alle noch in der Orientierungsphase“, sagt er und nimmt sich damit selbst als stetig Dazulernenden nicht aus. Den Weg seines Betriebs hat er jedoch einer klaren Vision unterworfen: Sein ganzes Team soll letztendlich ortsunabhängig in Echtzeit an einem Informationsstrang arbeiten können. Dafür arbeitet Holitsch aktiv an der Verkettung der bestehenden „digitalen Schollen“ im Unternehmen. Die betrieblichen Prozesse wurden zunächst abgelichtet, dann verschlankt und nachfolgend in einer Softwarearchitektur abgebildet.

Ein erster praktischer Schritt stellte hierbei die Einführung der papierlosen Produktion dar, durch den nun alle beteiligten Akteure wie Verwaltung, Arbeitsvorbereitung und Produktion sowie der Kunde in Echtzeit über den Fertigungsstand informiert sind. Mittelfristig sollen die verschiedenen Unternehmensbereiche auch Daten schnell und unkompliziert austauschen können. „Die Vernetzung bringt den Speed“, sagt Holitsch.

Zukunftssicher aufstellen

Damit möchte er den Betrieb in die Lage versetzen, in Zukunft eine reduzierte Belegschaft zu kompensieren. Diese Situation könne als natürliche Folge von Entwicklungen, wie dem demografischen Wandel, der teils geringen Fachkräftequalifikation, sowie der erhöhten Studierendenrate schneller als erwartet eintreten. „Im Moment können wir jedoch noch agieren statt nur zu reagieren“, macht Holitsch deutlich.

Dazu gehört auch, dem Kunden heute schon zu geben, was dieser aus dem privaten Bereich gewohnt ist: Erstens eine schnelle, unkomplizierte Kommunikation. Vom Einsatz der üblichen Messenger-Dienste profitiert auch der Betrieb stark, da er in der Regel unmittelbare Rückmeldung zu Aufträgen von Kundenseite erhält. Zweitens der Wunsch nach Individualität: Im Online-Konfigurator für Türen auf der Unternehmenswebseite wählt der Kunde Türblatt, Türrahmen und optionale Lichtausschnitte aus und stellt sich so eine individuelle Haustür zusammen. Die Unverzichtbarkeit von Online-Konfiguratoren zur Erhöhung der Kundenzufriedenheit verdeutlichen auch erfolgreiche Beispiele aus anderen Branchen: im Malerbereich etwa der Online-Konfigurator „Kolorat“ für individuelle Wandfarben, der Online-Konfigurator für Maultaschen der Stuttgarter Metzgerei Blessing oder der des Orthopädieschuhmacher-Meisters Christoph Mätzold für Einlegesohlen.

Use Cases als Hilfestellung

Beispiele für erfolgreiche Unternehmensdigitalisierung aus dem Handwerk existieren also zuhauf. Häufig müssen sie jedoch noch bekannter und den Betrieben erst zugänglich gemacht werden. Nur auf diese Weise können sie schließlich auch als Orientierung und Anreiz für andere Betriebe dienen.

„Diesen Bedarf greifen wir gerne auf und werden in Zukunft leicht zugänglich Use Cases aus unterschiedlichen Gewerken bereitstellen“, erklärt Florian Jentsch. Aktuell arbeitet die Beratungs-und Wirtschaftsförderungsgesellschaft Handwerk und Mittelstand (BWHM) deshalb an der Erstellung eines Use Case-Katalogs für das Handwerk, der zeitnah auf der Internetseite des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Stuttgart zu finden sein wird.

Den vollständigen Bericht lesen Sie hier.

(Autor: BWHM GmbH)

Digitale Geschäftsmodellinnovation im Handwerk

Die Maler Giese GmbH aus Stuttgart-Degerloch und ihr neu ausgegründetes Startup Filitime schreiten in Sachen digitaler Geschäftsmodellinnovation mit Siebenmeilenstiefeln voran. Aktuell entwickelt das junge handwerksnahe Startup die digitale Plantafel, eine Webapplikation zur Arbeitsplanung und -koordination. „Mit dem Projekt „Filitime – Digitale Plantafel“ haben wir uns das Ziel gesetzt, die klassische Plantafel mit Steckkarten und Magneten abzulösen und die Kommunikation und Planung in kleinen und mittleren Unternehmen dadurch erheblich zu vereinfachen“, berichtet Patrick Giese, Geschäftsführer der Maler Giese GmbH und des Startups Filitime. Zwar habe die analoge Plantafel in der Vergangenheit durchaus seinen Zweck erfüllt, werde den gestiegenen Anforderungen bei der Kapazitätsplanung aller Mitarbeiter, Arbeitsplätze und Arbeitsmaschinen aber zwischenzeitlich nicht mehr gerecht.

Größtmöglicher Praxisbezug

Euphorisch blickt Philipp Richert, Geschäftsführer und Programmierer bei Filitime, auf die Entwicklungsphase zurück. Der langjährige Erfahrungsschatz der Maler Giese GmbH in der Auftrags- und Auslastungsplanung habe erheblich zu einer möglichst praxisnahen Softwareentwicklung beigetragen. „Software kann man eben theoretisch entwickeln oder wie wir quasi auf der Baustelle zusammen mit dem Handwerk. Mehr Praxisbezug geht nicht“, erklärt Richert. Die digitale Plantafel sei vom Layout deshalb stark an die klassische Wandplanungstafel angelehnt. Dies vereinfache die Einarbeitungszeit und schaffe zudem eine gewisse Übersichtlichkeit.

Digitale Plantafel nur der Anfang

Doch die digitale Plantafel wird mit Sicherheit nicht das letzte Projekt der Maler Giese GmbH und Filitime sein. In Zukunft wollen die beiden Unternehmen ihren Innovationsmotor erst so richtig zum Laufen bringen. „Wir planen weitere Schnittstellen zur digitalen Plantafel zu schaffen, und wollen dadurch künftig neben der Bauzeitenplanung auch die Auftragsplanung und eine effiziente Mitarbeiterkommunikation ermöglichen“, kündigt Philipp Geißler, Betriebswirt und kreativer Kopf von Filitime, an.

Was können andere Betriebe von der Maler Giese GmbH lernen?

Generationen von Führungskräften wurden auf die Branchenanalyse nach Michael Porter getrimmt. Darin sei zunächst nichts Schlechtes zu sehen, erklärt Florian Jentsch, Abteilungsleiter für Technologie, Digitalisierung und Innovation beim Baden-Württembergischen Handwerkstag. Für erfolgreiche Geschäftsmodellinnovationen sei es jedoch unerlässlich, die dominante Branchenlogik zu durchbrechen und gerade auch Ideen außerhalb bestehender Denkschemata zu entwickeln. Dies habe die Maler Giese GmbH in besonderem Maße berücksichtigt und sei deshalb ein hervorragendes Praxisbeispiel für andere Handwerksbetriebe und KMUs.

 

Das Team des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Stuttgart freut sich auf die gemeinsamen Umsetzungsprojekte im Themenfeld Gebäude.

 

(Autor: BWHM GmbH)

Das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Stuttgart ist im Januar 2017 an den Start gegangen und kann eine positive Zwischenbilanz ziehen. „Die Handwerksbetriebe nehmen die Angebote des Kompetenzzentrums sehr gut an. Im ersten Projektjahr konnten bereits rund 60 Digitalisierungschecks “Handwerk” durch das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Stuttgart sowie weitere 34 durch die Innovationsberater der baden-württembergischen Handwerksorganisationen durchgeführt werden, erklärt Oskar Vogel, Hauptgeschäftsführer des Baden-Württembergischen Handwerkstags (BWHT). Zudem lägen dem Kompetenzzentrum für das zweite Jahr zum jetzigen Zeitpunkt schon 40 neue Anfragen vor.

DigiCheck als Ausgangspunkt

„Der Digitalisierungscheck bildet für die Betriebe einen ausgezeichneten Einstieg und liefert einen ersten Überblick zum derzeitigen Digitalisierungsgrad sowie Bereichen mit erhöhtem Handlungsbedarf, erklärt Florian Jentsch, Projektleiter des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Stuttgart. Das vom Heinz-Piest-Institut für Handwerkstechnik im Rahmen des Projekts „Kompetenzzentrum Digitales Handwerk“entwickelte Analysewerkzeug untergliedert  sich insgesamt in die fünf Kategorien: Kunde und Lieferanten, Prozesse, Geschäftsmodelle, Mitarbeiter und IT-Sicherheit. Die Abwesenheit von digitalen Lösungen bedeutet dabei nicht zwangsweise einen Digitalisierungsbedarf. Nicht in jedem Kontext sind nämlich alle Digitalisierungsmaßnahmen sinnvoll. Um Zeit und Geld am produktivsten einzusetzen, wird ein Digitalisierungsindex zugrunde gelegt, der Werte zwischen 1 (niedrig) und 5 (hoch) annehmen kann.

Der Digitalisierungsgrad der Handwerksunternehmen in Baden-Württemberg liegt bei 2,7 von 5 Punkten und damit leicht unter dem von Nicht-Handwerksunternehmen. Wahrscheinlich ist, dass dies auf die geringere durchschnittliche Betriebsgröße zurückzuführen ist. Größere Betriebe sind nämlich durchweg stärker digitalisiert. Dieses Ergebnis könnte mit der Tatsache einhergehen, dass solche Unternehmen mehr Ressourcen für strategische Investitionen zur Verfügung stehen haben.

Wo muss noch nachgebessert werden?

Digitale Tools, mit denen Kunden Produkte und Dienstleistungen online bewerten können, werden in baden-württembergischen Handwerksbetrieben bislang selten eingesetzt. Ebenso ist ein hoher Handlungsbedarf bei der digitalen Koordination und Planung von Arbeitseinsätzen, der Nutzung von Cloud-Diensten sowie der Mitarbeiterschulung im Bereich IT-Sicherheit ersichtlich. Ähnlich verhält es sich beim Einsatz von mobilen Endgeräten und der Einführung innovativer Technologien, wie z.B. 3D-Druckern, Virtual-Reality-Anwendungen oder Datenbrillen. Obwohl die Einführung solcher Technologien von den Betriebsinhabern als besonders relevant eingeschätzt wird, schreiten diese eher langsam voran. „In Gesprächen mit Betriebsinhabern hat sich herausgestellt, dass häufig technologische Anstöße von Dritten erforderlich sind, um solche Veränderungsprozesse überhaupt in Grundzügen anstoßen zu können, erklärt Jentsch. Dies deute auf einen möglichen Technologietransferbedarf hin, welcher durch die Handwerksorganisationen, aber auch die geförderten Landes- und Bundesprojekte erbracht werden könnte.

Beim Thema digitale Geschäftsmodellinnovationen zeigt sich hingegen, dass die gecheckten Handwerksbetriebe dessen Notwendigkeit bisher noch nicht vollständig erkannt haben. Diese stuften die Relevanz einer Veränderung oder Anpassung des aktuellen Geschäftsmodells nämlich als niedrig ein. BWHT-Hauptgeschäftsführer Vogel gibt zu bedenken, dass gerade volle Auftragsbücher Geschäftsmodellinnovationen häufig verhindern, da angesichts des gut laufenden Tagesgeschäfts in aller Regel keine Zeit zur vertieften Selbstreflektion bleibt und die Veränderungsnotwendigkeiten deshalb nicht in Gänze erkannt werden. Doch gerade in diesen Zeiten – das muss den Handwerksbetrieben klar gemacht werden – sollte man gezielt Maßnahmen zur Zukunftsorientierung oder Neuausrichtung des eigenen Unternehmens betreiben.